Inhaltsverzeichnis
Skript Tutorenschulung
Einleitung
Liebe:r Teilnehmer:in,
Du hast dieses Skript erhalten, weil du als Tutor:in im Projekt “Aachen rettet dein Leben” Schüler:innen die Reanimation beibringen willst. Erst einmal im Namen des gesamten Orga-Teams ein dickes Dankeschön dafür! Das folgende Skript soll dir begleitend zur Tutorenschulung das nötige Wissen in Punkto Didaktik, Fachlichem und unserer Lehrmeinung mit an die Hand geben. Nutze dieses Skript als Nachschlagewerk und schau es dir jederzeit wieder an, um dein Wissen aufzufrischen. Falls etwas unklar sein sollte, wende dich bitte an ein Mitglied aus dem Team Tutorenschulung. Wir werden dann, falls möglich, selbst die Frage beantworten oder die Meinung eines Facharztes:ärztin einholen.
Dieses Skript wird dich durch ein paar Key-Facts des Projektes selbst leiten. Es folgt die Vorstellung unserer Power-Point. Außerdem reden wir über Didaktik und BLS. Auch die Grundzüge des ALS werden wir handlungsorientiert beleuchten.
Für das, was wir den Schüler:innen lehren, sind wir als Projekt und insbesondere die Projektleitung verantwortlich. Daher müssen wir dich bitten, nicht von unserer Lehrmeinung abzuweichen. Falls deine persönliche Ansicht von unserer abweichen sollte bzw. du einen Fehler jeglicher Art im Skript findest, wende dich bitte an ardl@fsmed-aachen.de.
Projekt
Die Entstehung
2023 wurde das Projekt von Tobi und Jan als offizielles Fachschaftsprojekt gegründet. Reanimation in Schulen zu bringen, ist bereits seit über 10 Jahren eine feste Anweisung an die Schulen sowohl durch den GRC als auch durch diverse Schulministerien. Es hat sich als effektive Maßnahme erwiesen, Reanimation in Schulen zu lehren, um die Laienreanimationsquote in einem Land zu erhöhen. Seit Kurzem wurde das Reanimationstraining tatsächlich in den Lehrplan aufgenommen. In der Realität finden die Schulungen allerdings schlichtweg nicht statt. Unsere Idee war es, für diese Problematik eine schnelle unbürokratische Lösung zu finden, denn es sterben JETZT Menschen aufgrund der Versäumnisse, und das jeden Tag ca. 219.
Wir wurden aufmerksam gemacht auf ein Projekt von Priv. Doz. Dr. med. Marc Felzen, welcher genau dasselbe wie wir getan hat. Wir nahmen Kontakt mit ihm auf und werden seitdem durch Material und seine Expertise von ihm unterstützt. Er ist sozusagen der Schirmherr des Projektes. Durch ihn, die Notärzt:innen der Stadt Aachen, die Feuerwehr Aachen und viele weitere Unterstützer:innen erfahren wir eine unglaubliche Unterstützung, ohne die dieses Projekt nicht möglich gewesen wäre. Dafür einmal ein fettes Dankeschön!
Das Training
Unser Training richtet sich zunächst an die Schüler:innen der 9. Klasse. In der Pilotphase konzentrieren wir uns dabei auf Schulen in Aachen, um das Projekt in der Region erfolgreich zu etablieren. Sobald das Konzept dort fest verankert ist, möchten wir das Training schrittweise auf weitere Klassenstufen und Schulen ausweiten.
Das Training in der Stufe 9 bietet besonders einen wichtigen Vorteil: Es dient als wertvolle Grundlage, wenn die Schüler:innen später im Rahmen ihrer Führerscheinausbildung erneut mit Erster Hilfe und Reanimationsmaßnahmen in Berührung kommen. Durch die bereits in der Schule erworbenen Kenntnisse sind sie besser vorbereitet und können das Gelernte auffrischen, was den nachhaltigen Lerneffekt deutlich steigert.
Anfangs übernehmen wir selbst die Durchführung der Reanimationstrainings direkt mit den Schüler:innen. Langfristig ist jedoch geplant, die Lehrer:innen entsprechend auszubilden. Wir zeigen ihnen, wie sie die Reanimation kompetent und anschaulich unterrichten können, und stehen ihnen dabei als medizinische Expert:innen unterstützend zur Seite. Auf diese Weise wird eine nachhaltige Umsetzung gewährleistet, bei der die Lehrkräfte das Wissen eigenständig weitergeben können, während wir im Hintergrund für Fragen und fachliche Unterstützung verfügbar bleiben.
Die Grenzen
Sehr wichtig ist, dass du dir kurz über die Grenzen des Projektes Bescheid weißt:
- Wir bieten eine isolierte Reanimationsschulung an und keinen Erste-Hilfe-Kurs.
- Wir sind keine qualifizierten Erste-Hilfe-Ausbilder:innen und stellen daher keine offiziellen Zertifikate aus.
- Wir können uns den Schulen natürlich nicht aufzwingen. Wir haben die charmantesten und best-aussehendsten Teammitglieder alle im Team “Schulbesuche” versammelt. Aber wenn eine Schule nein sagt, dann sagt sie nein.
Falls ihr selber Schüler*in an einer Schule im Aachener Umkreis gewesen seid oder direkte Kontakte in die Schule habt, freuen wir uns immer, diese auch nutzen zu können. Sprecht gerne eine Person unseres Orga-Teams an oder schreibt eine Mail an ardl@fsmed-aachen.de! Info-Box
Didaktik
Viel wichtiger als jede Power-Point und jede fachliche Genauigkeit ist: Wie bringen wir das Ganze rüber?
“Haltet immer im Hinterkopf”
- Wir unterrichten junge Menschen in der Mitte ihrer geistigen Entwicklung
- Man kann nicht dieselben Ansprüche in Punkto Verständnis, Ernsthaftigkeit und Selbstreflexion an sie stellen, wie wir gegenseitig an uns stellen.
- Es sind nunmal Kinder, sie sind laut, unruhig und unkonzentriert. Aber dafür mögen wir sie ja auch.
- Ihr habt euch aktiv für dieses Projekt entschieden, deswegen bin ich überzeugt, dass ihr das ohne Probleme rocken werdet. Falls ihr merkt, dass es doch nichts für euch ist, ist euch keiner böse.
- Wir unterrichten medizinische Laien
- Wir studieren alle, weil wir das, was wir machen, lieben und es für unglaublich interessant halten. Das gilt leider nur seltenst für die Schüler:innen.
- Deswegen: Beschränkt eure physiologischen Details bitte auf ein Mindestmaß. Es ist natürlich nett, dass wir bei einer Hyperkaliämie durch Calciumgluconat eine super kardioprotektive Wirkung erzielen, das interessiert einen Schüler:in, der:die bei Calcium an Kuhmilch denkt, aber nicht die Bohne. Das gehört leider zu den Dingen, die wir auf die harte Tour gelernt haben ;)
- Tipp aus der Praxis: Geschichten aus dem Rettungsdienst, der Notaufnahme oder sonst woher kommen immer gut an. Verliert euch nicht in Details, sondern erzählt von dem Menschen und eurem interessanten Learning, welches für euren Vortrag relevant ist, und nicht von dem Notarzt:ärztin, der:die doch tatsächlich die Patches falsch geklebt hat. Bei persönlichen Geschichten beachtet bitte auch immer den nächsten Punkt:
- Unser ganz normaler Wahnsinn ist für andere schockierend
- Insbesondere wenn ihr in der Medizin arbeitet, kann es sein, dass man sich erst bei vollen Notaufnahmen mit kotzenden und sterbenden Menschen richtig lebendig fühlt. Wenn der Blutdruck von 170/80 euch nur ein müdes Gähnen beschert, dann lauft ihr genau wie ich Gefahr, eure Schüler:innen durch einen kleinen Nebensatz zu schockieren.
- Deswegen: Seid einfühlsam. Die Schüler:innen werden gewisse Dinge abstoßend finden. Zeigt Verständnis, aber macht klar, warum es wichtig ist, seine anfänglichen Ängste zu überwinden.
- Lasst euren speziellen Humor in der Notaufnahme bzw. dem Rettungswagen. Glaubt mir, die Chancen auf Lacher sind dort auch deutlich höher.
- Stellen, bei denen unserer Erfahrung nach ein besonders hohes “Schockierungs-Potential” in der Power-Point besteht, haben wir dementsprechend angesprochen.
“Peer Education”
Der große Vorteil unserer Lehre ist, dasswir kaum älter sind als die Schüler:innen, die wir unterrichten. Dadurch können wir das Konzept der Peer Education nutzen, welches einfach bedeutet, dass wir teilweise einen besseren Zugang zu den Schüler:innen haben und dadurch unsere Agenda effektiver rüberbringen können.
Das Konzept der Peer Education ist Grundlage unserer Lehre, deswegen wollen wir unseren Status als “Peer” möglichst nicht verlieren. Stellt euch also nicht als der große Lebensretter:in hin, der:die eh alles besser weiß, sondern nehmt die Schüler:innen und ihre Einwände ernst.
“Was, wenn ich die Kontrolle über die Klasse verliere?”
Insbesondere durch unseren Peer-Status besteht stets die Gefahr, die Kontrolle über die Klasse zu verlieren. Wenn uns die Schüler:innen auf der Nase herumtanzen, können wir unsere Inhalte nicht vermitteln. Wir möchten uns aber auch nicht als strenger Lehrer:in vor die Klasse stellen. Was also tun?
- Sprecht mit dem Lehrer:in, sagt ihm:ihr, dass ihr nicht so erfahren in der Lehre seid und gerne seine:ihre Unterstützung annehmt, wenn es darum geht, die Klasse zur Ruhe zu bringen.
- Erzeugt ein Wir-Gefühl bei den Schüler:innen: Sagt statt: “Könntet ihr bitte etwas ruhiger sein” lieber “Hey, wir haben noch wenige kurze Punkte, danach gibt es Pause/Praxis/Ende. Können wir noch ganz kurz konzentriert bleiben?”
"Allgemeines"
- Startet mit einem kurzen Disclaimer bzw. fragt ab, ob das Thema für jemanden besonders sensibel ist.
- Stellt den Schüler:innen Fragen, um sie einzubinden.
- Seid selbst motiviert! (seid ihr sowieso)
- Es kann nicht immer alles perfekt laufen. Versucht aus unvorhergesehenen Situationen wie nicht funktionierenden Beamern oder Zeitproblemen einfach das beste zu machen. Werdet kreativ. Wir haben auch schon Schulungen vor einer 30 Schüler:innen Klasse auf einem Laptop-Bildschirm gehalten. Nicht optimal, aber besser als gar nicht.
- Nutzt den Gruppenzwang, um einzelne unmotivierte Schüler:innen (oder den Lehrer:in) zum Teilnehmen zu bewegen. Besonders gut könnt ihr das im 7-Minuten-Reanimieren machen. Bildet 2er Teams und lasst die Schüler:innen durchdrücken. Ich verspreche euch, ihr werdet beide zum Drücken bringen ;)
Allgemeine Zahlen und Fakten
- Inzidenz: In Deutschland erleiden jährlich mehr als 70.000 Menschen einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand außerhalb des Krankenhauses (https://www.grc-org.de/ueber-uns/aktuelles/301-Anpassung-der-Laienreanimationsquote-in-Deutschland-Wichtige-Aenderung).
- Die Überlebensrate nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand ist eng mit der sofortigen Verfügbarkeit von Reanimationsmaßnahmen verknüpft. Die allgemeine Überlebensrate bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus lag im Jahr 2022 bei 9,1% für alle durch den Rettungsdienst behandelten nicht-traumatischen Herz-Kreislauf-Stillstände (https://cpr.heart.org/en/resources/cpr-facts-and-stats/).
- 2/3 im eigenen häuslichen Umfeld (https://www.grc-org.de/ueber-uns/aktuelles/301-Anpassung-der-Laienreanimationsquote-in-Deutschland-Wichtige-Aenderung).
- In 30,9% der Fälle im Jahr 2022 wurde die Reanimation durch telefonische Anweisungen der Rettungsleitstellen unterstützt (https://www.grc-org.de/ueber-uns/aktuelles/301-Anpassung-der-Laienreanimationsquote-in-Deutschland-Wichtige-Aenderung).
- In 6% der Fälle wurde die Reanimation von First Respondern durchgeführt, bevor der Rettungsdienst eintraf (https://www.grc-org.de/ueber-uns/aktuelles/301-Anpassung-der-Laienreanimationsquote-in-Deutschland-Wichtige
"Was wir lehren"
Ziel unserer Lehrveranstaltung soll es sein das klassische “Prüfen, Rufen und Drücken” zu vermitteln. Der Fokus liegt hier ganz klar darauf, dass jeder Schüler erlernt eine qualitativ möglichst hochwertige Herzdruckmassage zu machen. Wir wollen nicht wie bei einem Erste-Hilfe-Kurs “das mal ausprobieren lassen” sondern einen wirklichen Lerneffekt erzielen. Deswegen sollte jeder Schüler über mehrere Minuten die HDM durchführen!
Eine weitere wichtige Hauptaufgabe der Tutoren ist es den Schülern zu vermitteln warum genau Sie drücken müssen und warum man nicht auf den RD warten kann. Auch das nehmen von Ängsten ist in diesem Zusammenhang wichtig.
Der Unterschied zwischen Schnappatmung und normaler Atmung sollte vermittelt werden, da die Schnappatmung ein sehr häufiges Phänomen ist.
"Was wir selber wissen sollten"
BLS
Der BLS bildet das Fundament jeder Reanimationsmaßnahme und ist besonders entscheidend in den ersten Minuten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Hier sind die essentiellen Punkte, die du über den BLS wissen musst:
- Sicherheit zuerst: Bevor du irgendetwas unternimmst, stelle sicher, dass du und das Opfer nicht in Gefahr sind. Deine eigene Sicherheit hat immer Priorität.
- Prüfen – Rufen – Drücken: Diese drei Schritte bilden das Rückgrat des BLS. Die Schüler sollen diesen Merksatz hoch und runter beten können.
- Prüfen: Bewusstlosigkeit ist nicht eindeutig, Puls ist zu unsicher, deswegen nehmen wir die Atmung als Kriterium zur Feststellung der Reanimationspflichtigkeit. Achtung hier vor der Schnappatmung! Sie tritt in 40% der Fälle auf, ist recht eindeutig erkennbar und zeigt eine Reanimationspflichtigkeit an.
- Rufen: 112 (relativ eindeutig)
- Drücken: Die Qualität der Herzdruckmassage ist entscheidend. Platziere deine Hände übereinander in der Mitte der Brust des Opfers und drücke mit durchgestreckten Armen etwa 100-120 Mal pro Minute nach unten. Die Drucktiefe sollte bei Erwachsenen ca. 5-6 cm betragen (wir finden diese Zentimeterangabe relativ unschön, da wenige damit etwas anfangen können. Den Schülern vermitteln wir hauptsächlich, dass sie tief drücken sollen), bei Kindern entsprechend weniger.
- Beatmung: Da die Beatmung nach GRC Leitlinie nur von geschulten Menschen durchgeführt werden sollte und die potentiellen Schäden durch ein ausbleiben der HDM aufgrund von Ekel von der Beatmung die potentiellen Vorteile unserer Meinung nach überwiegen haben wir uns entschieden die Beatmung nicht zu lehren!
- Einsatz eines AED (Automatisierter Externer Defibrillator): Sobald ein AED verfügbar ist, schalte ihn ein und folge den Sprachanweisungen. Ein AED ist so konzipiert, dass er von Laien bedient werden kann und die Überlebenschancen des Opfers signifikant erhöht, indem er im Bedarfsfall einen elektrischen Schock abgibt.
- Fortsetzung bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes: Führe die Reanimationsmaßnahmen ohne Unterbrechung fort, bis professionelle Hilfe eintrifft und die Versorgung übernimmt.
Aus Zeitgründen sehen wir aktuell von der Lehre mit AED’s ab. In Zukunft sollen diese jedoch in höheren Jahrgängen vermittelt werden.
ALS
Zusätzlich zum BLS solltest du auch mit einigen Grundzügen des Advanced Life Support (ALS) vertraut sein:
- Erkennung und Management von lebensbedrohlichen Rhythmen: Während der BLS auf der mechanischen Unterstützung des Kreislaufs durch Herzdruckmassage und Beatmung basiert, befasst sich der ALS mit der Identifizierung und Behandlung spezifischer Ursachen des Herz-Kreislauf-Stillstands.
- Intravenöse Zugänge und Medikamentengabe: Im Rahmen des ALS werden Medikamente verabreicht, um den Herzrhythmus zu stabilisieren und die Herzfunktion zu unterstützen.
- Erweiterte Atemwegssicherung: Im Gegensatz zur Beatmung im BLS werden im ALS Maßnahmen zur Sicherung der Atemwege durchgeführt, die eine effektivere Ventilation ermöglichen.
Während der Fokus deiner Schulung auf dem BLS liegt, ist es wichtig zu verstehen, dass der ALS diese Maßnahmen auf einem höheren Niveau der medizinischen Versorgung fortsetzt. Dein Ziel als Tutor:in ist es, den Schüler:innen die Bedeutung der frühzeitigen Erkennung und Intervention bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand zu vermitteln und ihnen die Fähigkeiten für eine effektive Reanimation zu geben.